MARY BOYLE O’REILLY – IN BERLIN

MARY BOYLE ´O REILLY - IN BERLIN - Hörbuch
MARY BOYLE ´O REILLY - IN BERLIN - Hörbuch

MARY BOYLE O’REILLY – IN BERLIN

Erschienen im: The Boston Daily Advertiser, 1915

Der Zug, der langsam aus Berlin herausführ, war gefüllt mit Frauen und Kindern, kaum ein Mann im wehrfähigen Alter war zu sehen. In einem Abteil saß ein grauhaariger Landsturm-Soldat neben einer älteren Frau, die schwach und krank erschien. Über das Klick-Klack der Räder hörten die Passagiere, wie sie zählte: „Eins, zwei, drei“, offensichtlich in ihren eigenen Gedanken versunken. Manchmal wiederholte sie die Worte in kurzen Abständen. Zwei Mädchen kicherten, tauschten gedankenlos nichtssagende Bemerkungen über ein solch außergewöhnliches Verhalten aus. Ein älterer Mann runzelte missbilligend die Stirn. Stille trat ein.

„Eins, zwei, drei“, wiederholte die offensichtlich geistesabwesende Frau. Wieder kicherten die Mädchen albern. Der graue Landsturm-Soldat beugte sich vor.

„Fräulein“, sagte er ernst, „vielleicht hören Sie auf zu lachen, wenn ich Ihnen sage, dass diese arme Dame meine Frau ist. Wir haben gerade unsere drei Söhne an der Front verloren. Bevor ich nun selbst an die Front gehe, muss ich ihre Mutter in eine Nervenheilanstalt bringen.“

Es wurde furchtbar still im Wagen.

 

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MARY BOYLE O’REILLY – Zur Autorin

Mary Boyle O’Reilly (1873–1937) war eine amerikanische Journalistin, Schriftstellerin und Sozialaktivistin. Sie war bekannt für ihre mutige Berichterstattung und ihre Bemühungen um soziale Reformen. Als Tochter des berühmten irisch-amerikanischen Dichters John Boyle O’Reilly und Mitglied einer prominenten Familie, nutzte sie ihre Position und ihr Talent, um Licht auf soziale Ungerechtigkeiten und Missstände zu werfen.

Eines ihrer bekanntesten Werke war die verdeckte Untersuchung und Berichterstattung über die Bedingungen in einem Waisenhaus, was zu wichtigen Reformen im Umgang mit Waisenkindern führte. O’Reilly reiste auch während des Ersten Weltkriegs als Kriegskorrespondentin und dokumentierte die Auswirkungen des Krieges auf Zivilisten und Soldaten.

Sie war eine bemerkenswerte Journalistin und Auslandskorrespondentin während des Ersten Weltkriegs. Ihre Arbeit zeichnete sich vor allem auch durch kritische Berichterstattung und den Einsatz gegen Propaganda aus, insbesondere gegen die verzerrte Berichterstattung der britischen Presse. O’Reilly war bekannt für ihre lebendigen, augenzeugengestützten Berichte über den Krieg, wobei sie ein besonderes Augenmerk auf die Leiden der Zivilbevölkerung legte, unabhängig davon, auf welcher Seite der Front sie sich befanden.

Ihre Berichte standen im Kontrast zu dem oft patriotischen Ton der britischen Medien und beleuchteten die Realitäten des Krieges, einschließlich der Gräueltaten, die von beiden Seiten begangen wurden. O’Reilly nannte diese verzerrten Darstellungen “The Fakes” des Britischen Empire, was heute als “Fake News” bezeichnet werden könnte. Ihre Arbeit wurde kürzlich im John J. Burns Library des Boston College archiviert, wo ihre Artikel und Tagebücher sorgfältig aufbewahrt werden.

Eines ihrer bemerkenswertesten Werke war eine Reportage aus Loos, Frankreich, einer Schlacht des Ersten Weltkriegs, die für den erstmaligen Einsatz von Giftgas durch die Briten gegen die Deutschen bekannt ist. O’Reilly half bei der Evakuierung der Zivilbevölkerung und zeichnete ihre Beobachtungen in ihrem Tagebuch auf, wobei sie insbesondere die Auswirkungen des Krieges auf Kinder hervorhob.

Ihre Berichterstattung und ihr Engagement nach dem Krieg konzentrierten sich weiterhin auf die Aufklärung und Kritik der Kriegspropaganda. Sie hinterfragte die Darstellung des Krieges in den Medien und ihre Auswirkungen auf die Nachkriegszeit. Ihr Vater, John Boyle O’Reilly, war ebenfalls eine einflussreiche Persönlichkeit in Boston und Irland, und seine Erfahrungen beeinflussten sicherlich Marys Sichtweise.

Mary Boyle O’Reillys Werk bietet einen tiefen Einblick in die Komplexität des Ersten Weltkriegs und dessen Darstellung in den Medien. Sie hebt die Bedeutung der kritischen Berichterstattung und der Auseinandersetzung mit Propaganda hervor, eine Lektion, die auch heute noch relevant ist.

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